Vorbeugen ist besser als Bohren
"Schön ist es, um die Kranken besorgt zu sein ihrer Gesundheit wegen; Wie ansteckend ist Karies ?Eine Information (nicht nur) für Schwangere und Mütter von KleinkindernFrüher war doch alles noch viel einfacher: zweimal täglich Zähne putzen, zweimal im Jahr zum Zahnarzt, so lautete die Regel. Man glaubte auch, Karies würde nur durch die Menge an Zahnbelag (der sogenannten "Plaque") verursacht und Zähneputzen wäre als Kariesvorsorge vollkommen ausreichend. Heute ist leider alles viel komplizierter geworden: Gerüchten zufolge sei Karies sogar ansteckend! Was ist da nun dran?Es wird medizinisch immer wichtiger, bei den Bakterien in unserem Mund zwischen Gegnern und Gästen zu unterscheiden: Gegner soll man nicht unterschätzen, Gäste soll man nicht vertreiben... Nach heutigem Kenntnisstand sind von den über 700 Bakterienarten in Mund und Rachen gerade mal nur einige wenige(!) an der Kariesentstehung beteiligt, einer gilt als "Rädelsführer". Sein Name: Streptokokkus mutans (kurz: SM). Man kann sich die Situation so vorstellen: Kariesbakterien müssen die Zähne erst einmal besiedeln, und das ist gar nicht so einfach. Ein kleiner SM steht nämlich auch vor einem Milchzahn schon so da wie unsereins vor einem 5000 Meter hohen Berg. Da muss man erst einmal hochklettern - ständig bedroht von Zunge, Überschwemmungen, Essenslawinen und machmal sogar von einer gefährlichen Zahnbürste! Aber angenommen, unser SM ist hochgeklettert und hat ein Plätzchen gefunden, das noch nicht von anderen (für uns freundlichen) Bakterien besetzt ist, dann geht für ihn die Arbeit erst richtig los. Denn jetzt muss er für seine anstrengenden Schürfarbeiten an unseren Zähnen erst einmal Zuckervorräte anlegen und dafür braucht er Zeit. (Es ist also aus heutiger Sicht für die Kariesvorsorge nicht so wichtig, wie viel Zucker wir essen, sondern dass wir es möglichst selten tun!) Erst wenn die Zuckervorräte des SM voll aufgefüllt sind, beginnt er mit der Säureproduktion, die unseren Zähnen so weh tut. Aber zunächst "schürft" er nur oberflächlich, im Tagebau gewissermaßen. Später entwickelt er sich zum "Bergwerksdirektor", und lässt von eigens von ihm eingestellten Arbeitern, den Laktobazillen, auch unter Tage bohren. Und wenn dann kein Zahnarzt das Loch säubert und verschließt, dann bohren sie weiter bis zum schmerzhaften Ende... Aber genau durch diesen Mechanismus ändern sich auch unsere Verteidigungschancen! Wenn SM nicht bis zum Abschluss des dritten Lebensjahres die Zahnoberfächen besiedelt hat, dann hat er (wegen der Konkurrenz durch andere Bakterien) meist kein Glück mehr - und wir keine Karies! Es kommt also zunächst darauf an, die Übertragung von SM auf das Kleinkind zu verhindern. Hier sind die Eltern gefordert: ein zu Boden gefallener Schnuller darf zur Reinigung nicht abgeleckt werden, auch das Vorschmecken von Brei mit dem Babylöffel muss unterbleiben, da damit am ehesten eine Infektion durch Übertragung von elterlichem Speichel und Bakterien stattfinden kann. Schmusen ist dagegen nicht "riskant" (und sollte keinesfalls aus Furcht vor Karies unterbleiben)! Wichtig ist auch, in dieser Zeit den Mund der Eltern (insbesondere der Mutter) möglichst "SM-frei" zu halten: durch Sanieren von Löchern, professionelle Zahnreinigungen, gegebenenfalls auch durch medikamentöse Maßnahmen. Also: bei richtigem Verhalten hat der Streptokokkus mutans schlechte Karten. Und Küssen ist - auch sonst - natürlich nicht verboten...
Wie bändigt man Bakterien ?Eine Information für alle, die gesund bleiben wollenIm Erwachsenenalter wird manches komplizierter: Eine Infektion mit krankheitserregenden Bakterien im Mund muss grundsätzlich angenommen werden, aber Infektion bedeutet nicht automatisch auch Erkrankung. Schließlich haben wir ja noch unsere "Körperpolizei" (Immunsystem), die normalerweise diese Krankheitserreger gut "in Schach" halten kann, so lange nichts Besonderes passiert. Häufig rumort es ja nur dann in unserem Mund oder an den Zähnen, wenn wir sowieso gerade an einer anderen Erkrankung (beispielsweise einer ganz banalen Erkältung) leiden und unser Immunsystem anderweitig voll beschäftigt ist. Das Aufflammen einer zusätzlichen Erkrankung im Mund kann dann dadurch bekämpft werden, dass man die Anzahl der Keime reduziert - genau durch diesen Ansatz kann man aber auch von vornherein Mund- und Zahnerkrankungen in der Regel verhindern.Der bakterielle Zahnbelag (die "Plaque") erweist sich bei näherem Hinsehen als äußerst komplexes Ökosystem, das Zeit zum Organisieren und - gegebenenfalls - zum Wiederaufbau benötigt; zumindest der Karieserreger "Streptokokkus mutans" ist nach aktuellem Kenntnisstand ein eher langsames, empfindliches Bakterium, das auch recht ortsgebunden lebt. Die "Umweltfaktoren" für die einzelnen Keime spielen eine Schlüsselrolle bei der Verhinderung von Erkrankungen. Daraus ergeben sich verschiedene und im Ansatz ganz unterschiedliche Interventionsstrategien, die sich teilweise überschneiden, im Idealfall aber hervorragend ergänzen:
Im Gegensatz zu früher ist Karies heute auch heilbar (und nicht nur reparierbar). Bei frühzeitiger Diagnose ist Bohren "out"! Allerdings gilt dies nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen: Die Karies muss bereits im Frühstadium (sogenannte Initialkaries) durch entsprechend sensible Diagnostik entdeckt werden. Es muss dann auch unmittelbar eine adäquate Therapie mit dem Ziel der Remineralisation (Wiedereinlagerung von Mineralien in den Zahn, teilweise mit speziellen Präparaten) erfolgen; auch die vollständige Entfernung der Plaque über der Initialläsion ist notwendig. Im zugänglichen Bereich kann und soll dies mit der Zahnbürste geschehen, auch Zahnseide und im Bedarfsfall Interdentalbürstchen für die Zahnzwischenräume sind nach Einweisung und etwas Übung gut geeignet. An den nicht zugänglichen Stellen muss die häusliche Pflege in größeren Abständen professionell ergänzt werden. Hier hat sich nach unserer Erfahrung besonders die Reinigung mittels eines Pulverstrahlgeräts bewährt. Als Strahlmittel kommt dabei Natriumbikarbonat zum Einsatz, eine leicht basische Substanz mit hoher Säurepufferkapazität. Deshalb werden dabei besonders die Kariesbakterien empfindlich gestört, denn diese sind als Säureproduzenten gut an ein Leben im sauren Milieu angepasst. Bei regelmäßiger Durchführung solcher "professioneller Zahnreinigungen" werden die Umweltfaktoren für die Karieserreger drastisch verschlechtert, so dass das Erkrankungsrisiko deutlich sinkt. Dies gilt sinngemäß auch für die Entstehung von Zahnbetterkrankungen. Zusätzlich kann durch Chlorhexidin (in verschiedenen Anwendungsformen) die Anzahl der Bakterien verringert werden; Fluorid härtet nicht nur die Zähne, sondern remineralisiert auch Initialkaries und hemmt darüber hinaus den Bakterienstoffwechsel (und dann sind die Biester nicht mehr so aktiv...). Die beschriebenen Vorsorgetechniken erfordern allerdings mehr als früher regelmäßige Kontrollen - sonst sind sie wirkungslos. Tröstlich mag dabei sein, dass "Putzschatten" auch bei Profis (selbst Zahnärzten) vorkommen - aber das ist ja keine Schande. Prophylaxeleistungen und Prophylaxeberatung sind heute jedenfalls als Bestandteil des Leistungsspektrums moderner Zahnheilkunde unverzichtbar geworden. Sie persönlich können somit seit Menschengedenken heute erstmals entscheiden, ob Sie einen Zahnarzt nur "zum Bohren" aufsuchen wollen - oder dafür, dass er eben gerade nicht bohren muss! Sie haben die Wahl...
Und was gibt's sonst noch ?In letzter Zeit legt die aktuell verfügbare Datenlage den Schluss nahe, dass der Spruch “Gesund beginnt im Mund” nicht nur gut formuliert, sondern auch überraschend wahr ist: man hat z.B. auf den Ablagerungen verstopfter Herzkranzgefäße dieselben Bakterien gefunden wie in entzündeten Zahnfleischtaschen; Frauen mit Zahnbetterkrankungen tragen wahrscheinlich sogar ein deutlich erhöhtes Risiko in die Schwangerschaft! Eine Zeitung hat dies als griffige positive Schlagzeile so veröffentlicht:“Gesunde Zähne schützen vor Herzinfarkt und Frühgeburten!” In gleicher Weise profitieren auch Diabetiker und Patienten mit Bluthochdruck, chronischen Lungenerkrankungen, nach Organtransplantationen oder Strahlentherapie (besonders im Kopf- / Halsbereich).
erstellt: 03.04.2002 / letzte Änderung: 27.03.2020 / Zum Seitenanfang |